1988-2003, Tambows black

Tambows black


acrylic, aluminium, bitumen, graphite, plastic, oil, sound, preserved and prepared natural leaves, woods

Acryl, Aluminium, Bitumen, Grafit, Kunststoff, Öl, Klang, konservierte und präparierte Naturblätter, Holz

267 x 221 x 41 cm


Das Werk wirft die Frage auf, warum in der Moderne die formalen Fragen der Ästhetik dermaßen dominant sind, dass darüber andere Fragen – die für unser Menschsein mindestens ebenso wichtig sind – an Bedeutung eingebüßt haben. In der tradierten Malerei des Tafelbildes findet man Landschaftsdarstellungen. Aber Landschaft ist ja keineswegs Natur. Oder man findet Tierdarstellungen, aber dabei handelt es sich zumeist um die ostentative Zurschaustellung von Besitz (Reitpferden, Jagdhunden etc.).

Formalismus, vom Menschen durchgestaltete Landschaft und Besitz – und wie ist es um die Darstellung von Naturkräften bestellt? Sie erscheint allemal in Gestalt von rationalisierten Darstellungsverfahren und wird dadurch selbst zu einem Stück Technik (ars als techné). Über die Darbietung von Organisationsprinzipien hinaus scheint nichts weiter bedeutsam zu sein. Was aber fehlt, ist ein echter lebendiger Inhalt. Woran es uns mangelt: Uns fehlt eine echte Erfahrung im Umgang mit den Lebewesen der Wildnis.

I.M. Sacharow-Ross, München 1983


Grausame Wahrheit jenseits des Naturzustands
„Lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit non novit.“ (Plautus)
Der Mensch ist jenes Lebewesen im Kosmos, das die Wahrheit auszusprechen hat. Wenn wir an die Stelle des Menschen den Wolf situieren – was verändert sich dann? Was verändert sich, wenn wir uns vorstellen, dass sich die Wege des Menschen und die des Wolfes immer wieder kreuzen werden: Werden wir dadurch animalischer? Werden wir mit unserer eigenen animalitas konfrontiert, die wir ohnehin seit den Anfängen der Philosophischen Anthropologie immer schon in das Skript unsere Selbstbeschreibung eingetragen haben, etwa in Gestalt des animal rationale, zoon politikon oder zoon logon echon?
Der Wolf ist sprichwörtlich. Er erzählt uns viel über die Projektionen, die unser Gruppenerleben bzw. unser Leben in politischen Gemeinschaften betreffen. Er ist eine Projektion des Anführens, des Vorausgehens, der taktischen Angriffslustigkeiten; aber der Wolf ist kein Stratege. Der Mensch denkt strategisch, listenreich. Der Wolf täuscht nicht, oder doch?
Ich bin mir sicher, dass er nicht täuscht, denn das wäre lediglich ein Anthropomorphismus, den wir immer anwenden, wenn wir uns den Tieren oder den Göttern zuwenden. Dann gibt es noch die Vertierung des Göttlichen. Wir denken an Anubis oder die Tiere der Apokalypse. Wir denken an die Höllenhunde, die die Wege zu den schrecklichsten Qualen pflastern. Das mehr als Tragische ist ja, dass Menschen im 20. Jahrhundert ja tatsächlich anderen Menschen die Hölle auf Erden bereitet haben: Allein voran in Stalins Russland und in Maos China sind die Menschen absolut vertiert worden. Oder in den Konzentrationslagern der Nazis, wo keine Menschen mehr gehalten wurden. Diese Systeme der Erniedrigung basieren ja auf dem psychischen Mechanismus, das Gegenüber nicht mehr als Individuum, als eine personale Ganzheit eigenen (oder gar göttlichen) Rechts zu betrachten, sondern sie oder ihn entweder vollständig zu versachlichen, also zu einem schieren Ding zu stempeln oder sie in einer Weise zu demütigen, dass sie von sich selbst denken müssen, sie seien in den Rang eines Schlachttiers gestürzt. Der Absturz in die Psychologie des Opfers ist das Äußerste, was Menschen anderen Menschen antun können.

Es ist entsetzlich zu sehen, wie Viele sich heute selbst in die Lage manövrieren, sich innerpsychisch in die Identifikation mit dem Opfer zu begeben, nur um dann die Qualen der Ohnmacht zu durchleben; wie viele sind von dieser Reise nicht mehr zurückgekehrt.
Das steht der schwarze Wolf in aufrechter Haltung, er ist weder sympathisch noch unsympathisch. Er steht da und beobachtet, wie sich die Schwärze vor ihm verwandelt. Er sieht Veränderung, aber keinen Zerfall, er nimmt die Brechungen des Lichts in der Schwärze war, aber er zerbricht sich nicht den Kopf darüber, ob Licht der Schatten Gottes sei. Das macht der Mensch, der wissen will, ob seine Revolte gegen die Götter Aussicht hat, indem er das Licht überall hinträgt. Doch das kostet Energie. Und die Art und Weise, wie wir an diese Energie gelangen, entscheidet mit über das Los des Menschen. Dabei gibt es noch so viel Energie zu entdecken, die jenen zufließt, die einfach betrachten können. Darauf der Nihilist spricht: „Der Wolf von Tambow ist dein Genosse.“

Prof. Dr. phil. Christian A. Bauer, Köln 2019


Exhibitions / Ausstellungen:
Wolf. Wald. Wildnis. Museum Villa Rot in Burgrieden (23 Februar – 3 Mai 2020)

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