1994, Arbeitsplatz

Arbeitsplatz


Project at the Kunstverein Rosenheim, Kunst-Mühle

Aluminium, audio sources, plastic, copper, steel, wood, glas, computer, paper

Audioquellen, Computer, Fotos, Kunststoff, Kupfer, Stahl, Holz, Glass, Computer, Papier



Rabota. Arbeit an der Welt

Wahrnehmung der Zerstörungspotentiale einer sich dramatisch verändernden Welt und der Blick auf die Natur und die Wunder der Schöpfung, auf „Lichtquellen” — in dieses Spannungsfeld installiert Igor Sacharow-Ross den Arbeitsplatz des Menschen. Wach sein, denken, handeln, etwas hervorbringen, „von früh bis spät“, jeder an seinem Platz, dies wird dem Betrachter zur intellektuellen Einsicht wie zum körperlich erfahrbaren Programm. Lebensform als Arbeitsform. Leben und Arbeit dauerhaft verbinden.

Arbeit hat zu tun mit Mühsal, mit Bedrängnis und Not — nicht nur wortgeschichtlich in mythisch—dichterischer Überlieferung als das, was dem Menschen in einer nicht mehr „heilen” Welt widerfährt. Arbeit ist Energie. Und Arbeit heißt die gewollte und bejahte Anstrengung, Überleben zu sichern, Zukunft mitzugestalten, Denk- und Lebensweisen wiederzuentdecken oder zu erfinden und zu erproben. 

Hinter Sacharow—Ross’ Vorstellung von Arbeit, Arbeit an der Welt, steckt nicht das Pathos der russischen Avantgarde, die Welt neu zu schaffen, befreit von jeder kulturellen Tradition und der Vergangenheit. Nicht an Malewitschs Ideal wird angeknüpft, dem Chaos einen „Gesamtplan zur Reorganisation des Kosmos unter der Leitung des an die Stelle Gottes gerückten Künstler—Analytikers” entgegenzuhalten. Gemeint ist vielmehr die Arbeit jedes einzelnen im Rückgriff auf die Quellen. Der aus dem Garten Eden in die nackte Selbstbehauptung hinausgestoßene Mensch, der „Leidtragende des Universums” (Hans Blumenberg) ist gleichwohl der Hüter der Schöpfung: er soll die Erde bewohnbar machen, zu Formen gemeinschaftlichen Lebens finden, „auf das Licht hören”, wie der Künstler sagt, und es weitergeben.

Sacharow-Ross’ Installation verweist nicht allein auf einen christlichen Kontext. Sein Arrangement aus Tisch und Apparaturen, aus computerbewegten Bildern und Tafelbild, aus visualisierten Modellen wissenschaftlicher Theorien, Weltall—Ansichten und Zeichnungen auf Filterpapier macht sichtbar, wie Fragen der Kunst, der Religion, der Philosophie, der Technik und der Wissenschaften miteinander korrespondieren. Er baut ein Laboratorium, in dem sich trotz der polyperspektivischen Zerborstenheit der Welt eine Idee des Ganzen entfalten könnte.

Petrra Giloy-Hirtz aus: Igor Sacharow-Ross: Arbeitsplatz. Edited by Kunstverein Rosenheim. Rosenheim 1994, S. 9-13


Workplace

The Arbeitsplatz installation (Rosenheim Art Society, 1994) highlights certain aspects of this topic. Work is creative. But the exigencies of purely utilitarian economics have blinded us to the question of the meaning of work. We accumulate knowledge and we produce and accumulate more and more consumer goods but we are unable to transcend this knowledge and our “household-consumer culture” to enter other spiritual or ethic dimensions. This nurtures a scepticism against a science that seeks to assist Creation. At the same time, there exists a powerful scepticism about whether man is able to learn from his- all. Here Sacharow-Ross distilled or reduced this aspect of history to a table tory at spread with photos and newspaper cuttings as a record of the dramatic events in twentieth-century politics, ideas and economics. There were also two long strips of paper on the table, together with magnifying glasses: one strip showed the Milky Way and the magnifying glass magnified our solar system. The other strip showed the twelve phases of the earth’s rotation and the magnifying glass focused the viewer’s attention on the Old World and the photo of an embryo. This contrast between remoteness and proximity, between infinity and the seclusion of the biosphere of the embryo in the womb, was supplemented by a sensory emphasis on inner and outer space: the windows of the exhibition hall, which was divided into two parts, were darkened. There were pictures on three of the walls and only a single window, framed by steel plates, afforded a view of the riverside beyond as if it were an advertisement for the outside world. Human voices formed the basis for this tapestry of tape-recorded sounds, intermixed with the sounds of mill turbines. A computer monitor displayed the phases of cell division. The beginnings of organic life are evocative of biological work processes – the cell is a workplace at which and from which a finished “work” is created. At the same time this is also the beginning of an individual’s history and, because ontogenesis is a reproduction of phylogenesis, it reflects the entire history of the human species.

Arbeitsplatz

Arbeitsplatz Die Installation Arbeitsplatz (Kunstverein Rosenheim, 1994) stellte einige Aspekte dieser Thematik stärker heraus. Arbeit ist kreativ. Reine Zweckökonomie blondes jedoch die Frage nach dem Sinn der Arbeit aus: Wir summieren Wissen, und wir produzieren und summieren immer mehr Konsumgüter, aber wir transzendieren nicht dieses Wissen und die »Gebrauchskultur« in andere geistige und ethische Dimensionen. So nährt sich eine Skepsis gegenüber der Wissenschaft, die sich vornimmt, der Schöpfung zu Hilfe zu kommen. Gleichfalls besteht eine starke Skepsis gegenüber der Fähigkeit, aus der Geschichte tatsächlich zu lernen. Den Aspekt des Geschichtlichen konzentrierte bzw. reduzierte Sacharow-Ross hier auf eine Reihe von Photos und Zeitungsausschnitten auf einem Tisch, die die politischen, ideologischen und ökonomischen Dramen im 20. Jahrhundert festhalten. Außerdem enthielt der Tisch zwei lange Papierbahnen mit Lupen: die eine zeigte die Milchstraße; und die Lupe vergrößerte unser Sonnensystem. Die andere bildete die zwölf Phasen der Erdumdrehung ab; hier hob der Blick durch die Lupe die Alte Welt und das Photo eines Embryos hervor. Diese Kontrastierung von Ferne und Nähe, von Unendlichkeit und der Abgeschlossenheit der Biosphäre im Mutterleib, wurde ergänzt durch eine sensuelle Pointierung des Innen- und des Außenraumes: die Fenster der zweigeteilten Ausstellungshalle waren abgedunkelt. An drei Wänden hingen Bilder, und nur durch der Außenwelt gehandelt habe. Basis des Klangteppichs vom Tonband waren landschaft draußen wahrnehmbar, als ob es sich dabei um ein Medienbild von ein einziges mit Stahlplatten eingefaßtes Fenster war ein Blick auf die Fluß- an dem und aus dem ein fertiges »Werk« entsteht. Gleichzeitig ist dies auch der schen Lebens evoziert biologische Arbeitsprozesse – die Zelle ist ein Arbeitsplatz, Ein Computermonitor führte die Phasen der Zellteilung vor. Der Beginn organi- mischten. menschliche Stimmen, die sich mit den Geräuschen der Turbinen der Mühle ver- Mensch wider. der Phylogenese bedeutet, spiegelt sich in ihr die gesamte Geschichte der Spezies Mensch wider.

Jürgen Raap aus: Igor Sacharow-Ross. Reanimation, hg. v. Cantz Verlag (Ausst.-Kat. Tourcoing, Musée des Beaux-Arts, 18.10.1997-19.01.98), Osfildern-Ruit 1997, S.52-53 & S.67


Exhibitions / Ausstellungen:

Arbeitsplatz. Kunstverein Rosenheim. (11.03 – 17.04.) 1994

Publications / Publikationen:

Igor Sacharow-Ross: Arbeitsplatz. Edited by Kunstverein Rosenheim. Rosenheim 1994.

Making Nature, hg. v. Nikolaj Copenhagen Contemporary Art Centre, Kopenhagen 2002, S. 22. 

Igor Sacharow-Ross. Reanimation, hg. v. Cantz Verlag (Ausst.-Kat. Tourcoing, Musée des Beaux-Arts, 18.10.1997-19.01.98), Osfildern-Ruit 1997



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