1995, Gut gewachsen

Inneres Observatorium


Project at the Haus der Kunst, Munich

Aluminium, audio sources, plastic, copper, steel

Aluminium, Audioquellen, Kunststoff, Kupfer, Stahl

1540 x 120 x 230 cm


The inner Observatory

At the Haus der Kunst in Munich (1996) Sacharow-Ross installed a 13-metre-long telescope” which, as an inner observatory, was not directed at the cosmos, but at a lifelike model of the human brain (“Divergention”). A mass spectrometer (electron accelerator) was arranged below this model of the brain. Thus an analogy was created between the energy field that the mass spectrometer can explore when it measures the tiniest particles, and the spiritual energy fields that are created by the activities of the brain.

It is planned to set up this installation once again in the summer of 1997, this time in Jerusalem – where it will be encapsulated in an 18-metre-high glass steel cone construction on a basalt base. It will be erected in the grounds of the Bernard W. Bloomfield Science Museum in front of the entrance. The museum is in the centre of the city between the Knesset and the Israel Museum.

For the visitors it is planned to have an interactive “bar” inside this capsule-like architectural enclosure. Here, artistically processed information on brain research can be called up. The top of the telescope will protrude some metres into the open from the inverted dome of the observatory but, even so, it will point the wrong way round. Here, too, it will not be trained at the universe but at the cosmos of the human mind, i.e., “it points at ourselves, at our immediate presence instead of distant galaxies” (Sacharow-Ross).

The way in which the spectrometer closes in on the brain seems to be an exact description of the state of today’s world and the danger that it brings of using technology to manipulate mankind. Art was and is a means of forcible visual admonition and warning, as well, and this constitutes its major social function.

Das innere Observatorium

Im Haus der Kunst in München (1995) installierte Sacharow-Ross ein über 15 Meter langes »Fernrohr«, das als Inneres Observatorium nicht auf den Kosmos, sondern auf ein lebensechtes Modell des menschlichen Gehirns ausgerichtet war. Unter diesem Gehirn-Modell war ein Massenspektrometer (Elektronenbeschleuniger) angeordnet. So ergab sich eine  Analogie zwischen jenem Spannungsfeld, das mit dem Massenspektrometer bei der Messung kleinster Teilchen erkundet werden kann, und den geistigen Kraftfeldern, die durch die Gehirntätigkeit entstehen.

Im Sommer 1997 soll diese Installation – nun umhüllt von einer konisch konstruierten 18 Meter hohen architektonischen Glas-Stahl-Konstruktion auf einer Basalt-Basis – in Jerusalem erneut realisiert werden. Aufstellungsort ist das Außengelände vor dem Eingang des Bernard W. Bloomfield Science Museums, einem zentral gelegenen Platz der Stadt zwischen der Knesset und dem Israel Museum.

Für die Besucher ist im Inneren dieser kapselartigen architektonischen Hülle eine interaktive »Bar« geplant, an der künstlerisch bearbeitete Informationen zur Gehirnforschung abgerufen werden können.

Zwar wird hier die Spitze des Teleskops aus der umgedrehten Kuppel des Observatoriums heraus einige Meter weit ins Freie ragen, aber dennoch ist seine Blickrichtung umgekehrt: Sie richtet sich nämlich auch hier nicht ins All, sondern auf den Kosmos des menschlichen Geistes, d.h. »auf uns selbst, unsere nächstliegende Gegenwart statt in eine galaktische Ferne« (Sacharow-Ross).

Die Art und Weise, wie das Spektrometer dem Gehirn zuleibe rückt, wirkt als exakte Zustandsbeschreibung der heutigen Welt und ihrer Gefahren einer technischen Manipulierbarkeit des Menschen. Kunst war und ist auch Mittel zur visuell eindringlichen Mahnung und Warnung – daraus ergibt sich ihre wesentliche gesellschaftliche Funktion.

Jürgen Raap, 1997

in: Igor Sacharow-Ross. Reanimation, hg. v. Cantz Verlag (Ausst.-Kat. Tourcoing, Musée des Beaux-Arts, 18.10.1997-19.01.98), Ostfildern-Ruit 1997, S.69 & 55-56


Inneres Observatorium 

Igor Sacharow-Ross Inneres Observatorium Die Werke von Igor Sacharow-Ross stellen tradierte Blickrichtungen und gewohnte Denkmuster kritisch in Frage. In der Installation Inneres Observatorium (Haus der Kunst, München, 1996) trifft der solchermaßen umgekehrte Blick durch ein dreizehn Meter langes Sternenteleskop auf das Modell eines freigelegten menschlichen Gehirns. Das lebensechte Modell jener fleischigen, mit Blutgerinnseln überzogenen Masse, die unser Denken, Fühlen und unseren freien Willen bestimmt, schwebt scheinbar schwerelos über einer zylindrischen Stahlkonstruktion, in der sich ein Massenspektrometer befindet. Darüber steigt sich ein ein sich verjüngendes Fernrohr zehn Meter empor, bis es die Decke des Raumes in Himmelsrichtung durchstößt und mit der Spitze ins Freie ragt. Obwohl das Teleskop in dynamischer Schräge aufsteigt, ist es nicht von innen nach außen und von unten nach oben gerichtet. Sein riesiges Auge, das in Kugelform in einer Schale den gläsernen Konus der Architektur bekrönt, blickt durch das Teleskop auf das Gehirn hinab. Eingebaut zwischen zwei Instrumenten der Naturbeherrschung, zwischen dem Massenspektrometer, der den Eingebaut zwischen zwei Instrumenten der Naturbeherrschung, zwischen dem Massenspektrometer, der den Zugriff auf den Mikrokosmos ermöglicht und dem Fernrohr, das der Beobachtung des Makrokosmos dient, symbolisiert das nackte Gehirn den entkörperlichten, menschlichen Geist. Es verweist auf die Trennung von Körper und Intellekt, auf ein körperloses Denken, das der französische Philosoph René Descartes als Erster formulierte. Für ihn war das Denken kein Teil einer körperlichen lebendigen Welt, sondern ein losgelöster körperloser Geist, der unsterblich und gottähnlich sein sollte. Damit hatte er die philosophischen Grundlagen für das Ideal der wissenschaftlichen Distanziertheit und Naturbeherrschung gelegt, das die moderne Wissensgesellschaft immer noch prägt. Sacharow-Ross versinnbildlicht durch die umgekehrte Blickrichtung des Fernrohrs die Einsicht, dass unser Geist und unser Sehen nicht unabhängig von unserem Körper existieren, sondern Bestandteile einer komplexen Gesamtstruktur sind, die das äußere und innere Universum mit einschließt.  

Petra Schröck 

in: making nature, hg.v. Dieter Buchhart, Petra Schröck ( Ausst.-Kat. , Östereichische Galerie Belvedere) Wien 2002, S.84



Exhibitions / Ausstellungen: 

Gut gewachsen, München, Haus der Kunst, 08.11.1995-14.01.1996P

Gut gewachsen, hg. v. Haus der Kunst (Ausst.-Kat. München, Haus der Kunst, 08.11.1995-14.01.96), München 1995.

Publications / Publikationen:

Schäfer, Harry: Die Räume des Igor Sacharow-Ross, in: Kunstzeit 4/97, 56 f.

Igor Sacharow-Ross. Reanimation, hg. v. Cantz Verlag (Ausst.-Kat. Tourcoing, Musée des Beaux-Arts, 18.10.1997-19.01.98), Ostfildern-Ruit 1997.

Raap, Jürgen:  Igor Sacharow-Ross. Inneres Observatorium, in: Kunstforum International, Bd. 140, 1998, 272-293.

Rapp, Jürgen: Künstler und Forscher im Dialog. Verbindung von Wissen, in: Kunstzeit 1/98, 12-20.

Kunst + Wissen, hg. v. Kunst Management Judith Betzler (Ausst.-Kat. Bonn, Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, anläßlich des Kongresses Zukunft Deutschlands in der Wissensgesellschaft am 16.02.1998), Bonn 1998.

Buchhart, Dieter: Igor Sacharow-Ross. Das Resultat ist tot, es lebe der Prozess. Ein Gespräch von Dieter Buchhart, in: Kunstforum International, Bd. 175, 2005, 251.

Igor Sacharow-Ross. Abgebrochene Verbindung,hg. v. Dieter Buchhart/Hans-Peter Wipplinger (Ausst.-Kat. Passau, Museum Moderner Kunst Passau – Stiftung Wörlen, 22.10.-03.12.2006), Nürnberg 2006.

Syntopia. Igor Sacharow-Ross, hg. v. Andrea Niehaus/Dieter Ronte (Ausst.-Kat. Bonn, Deutsches Museum Bonn/Kunstmuseum Bonn, 07.12.2007-03.02.08), Köln 2007.

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