Syntopia

Where is Syntopia?

We can only know a place if we know some other place. We can only know Chabarowsk or Schwessin, or wherever we were born, if we also know St. Petersburg and Timmerhorn. What is knowing after all? Recognising an aroma, walking through the streets, the fields, tiredly through the forest; when all we retain is a unique image, an imitable sound.

A single letter – the smallest element in our language – can make all the difference: f or g, free or glee. A symbol, a smell, a fragrance can make a place forever unforgettable and create an unbreakable bond. However, this place is only recognized, the letter only seen, the smell only sensed and the fragrance only smelt if the other place, to which we return or remember, exists, too.

A place is only recognized in Syntopia.

Observe the globe on which we live. You turn the globe and see all the countries of the earth in their different colors. Some of the countries are big, others tiny – yet they are all distinguished, one from the other, by their colour. The countries are separate, the people in each country isolated. Observe another globe – where there are no borders, only mountains, steppes, rivers, oceans. There are no people. We see the globe from the outside, like visitors from a far-off star, as if it were not our earth at all, not our Syntopia.

But this is our Syntopia. How does it become Syntopia? For me, because I have connected various places within me, and because I am connected with others in other places. These connected places make it my Syntopia.

The earth is held together by basic physical forces. But it is also sustained by the power of Syntopia. We live in towns, in villages, on mountains, in the jungle, in the forest, on the steppe, in the snow or in the desert. We live in different political systems. We have different religions, distinct histories, we are young or old, male or female, black or white, rich or poor, we speak one of the 3000 languages spoken on our planet.

Each of the inhabitants on our earth is a unique entity formed by all these various factors, a single point in an n-dimensional space, unmistakable. And yet, however true this may be, I am nonetheless synoptically connected with all those living in the north, the south, or on the equator. It is not just physical forces, but a patchwork of friendships stretching across the globe which holds the world together.

(Those who stay put, stewing in their prejudices, convinced that they know the truth about everything, who only know their own histories, who go through the world with tunnel vision – these are people who do not live in Syntopia, but in utopia.)

Where is Syntopia? Syntopia is in and around us if we recognize other places and, thus, recognize and determine our own place and own identity. We can make Syntopia real if the single element of its meaning is grasped and combined afresh with other elements to form a new creativity.

Ernst Pöppel in: Making Nature, hg. v. Nikolaj Copenhagen Contemporary Art Centre, Kopenhagen 2002, S. 22

Orte der Syntopie

Im Rahmen seiner Grundlagenforschung über Gehirnfunktionen und die Bedingungen des Entstehens von Kreativität hat mein Freund Ernst Pöppel das Konzept der Syntopie entwickelt. Er definiert „Syntopie“ als die Verbindung des räumlich und gedanklich Getrennten und als Voraussetzung für Kreativität. Kreativität erwächst aus der Verbindung von explizitem Wissen, implizitem Können und persönliche Erfahrung.

Wenn heute von Wissen gesprochen wird, dann wird damit zumeist das begriffliche Wissen bezeichnet. In der Hirnforschung hat man jedoch festgestellt, dass es zwei weitere mindestens ebenso wichtige Wissensformen gibt, die im Laufe der Evolution entstanden sind.
Neben dem begrifflichen Wissen gibt es Handlungswissen: Hierbei handelt es sich um intuitiv gewonnenes oder implizit verfügbares Wissen. Beispiele für solche Wissensformen sind das künstlerische Wissen oder das wissenschaftliche Wissen des Experimentators. Es ist bedauerlich, dass die Stärkung dieses intuitiven Wissens als Erziehungsziel in unserer Gesellschaft in den Hintergrund getreten ist.
Eine dritte und die möglicherweise wichtigste Form ist das bildliche Wissen. Wir machen uns Bilder von Sachverhalten, wie der Philosoph Ludwig Wittgenstein sich ausdrückte. Ein Gutteil des menschlichen Gehirns ist ausschließlich mit Bildern und nicht mit Begriffen beschäftigt. Diese Bilder können wiederum in drei verschiedenen Formen eine Rolle spielen:
erstens als gegenwärtiges Wissen, zum Beispielsweise durch die unmittelbare Präsenz des Anderen;
zweitens in Form von bildlichen Erinnerungen, die wir in uns tragen. Selbst die ersten prägenden Erinnerungen sind stets mit einem bestimmten Bild verbunden, das immer mit einem bestimmten Ort verbunden ist. Ort und Bild können für den Erinnernden in ganz persönlicher Weise mit einer bestimmten Bedeutung, mit einem Gefühl, einem Geruch, einem Erleben verbunden sein. Die personale Identität eines jeden von uns besteht in der Aneinanderreihung, der inhaltlichen Verbindung, der Syntopie der Bilder, die wir in uns tragen. Die Lebensgeschichte eines jeden Menschen ist etwas Besonderes und macht uns zu dem unverwechselbaren Menschen, der wir sind.
Schließlich besteht eine dritte Form des bildlichen Wissens im grafischen und topologischen Wissen, das wir für einfache geometrische Formen verwenden, um uns Sachverhalte zu verdeutlichen.

Der Begriff der Syntopie soll ein Korrektiv gegen die Privilegierung des begrifflichen Wissens sein, das sich nach dem Vorbild des kartesischen Rationalismus entwickelt hat. Es geht um die „Überwindung“ der Einseitigkeit bestimmter Wissenskulturen innerhalb unserer Gesellschaft, der Wissenschaften, der Künste oder der Wirtschaft. Der Begriff der Syntopie ist Ausdruck einer dynamischen Verbindung und Überbrückung der Grenzen dieser Wissensbereiche. Als Projekt ist Syntopie der Verbindung verschiedener Völker verpflichtet. Syntopie zielt auf die Verbindung von Verschiedenem an einem Ort.


© Igor Sacharow-Ross 2000/2018.


Syntopie Labor 2018, Köln

Syntopie Labor 2019, Köln

ob DACH / eine Baustelle in Bonn


Ich möchte einen Bau für und mit OBDACHLOSEN in Bonn initiieren. Es soll im städtischen Raum eine Syntopie-Plastik entstehen. Die Syntopie-Plastik soll ein Ort der Begegnung, des Kennenlernens und der aktiven Teilhabe werden.

Eine Syntopie-Plastik kann als eine offene Verbindung überall dort entstehen, wo aus dem Aktivieren des zwischenmenschlichen Potentials die Chance erwächst, den gewohnten Habitus zu verändern. Es handelt sich also um eine Chance für alle Bürgerinnen und Bürger, ihre Verhaltensmuster zu untersuchen und eventuell bessere zu finden: Solche die ein Mehr an Intensität und Lebendigkeit, aber auch einen besseren Umgang mit der eigenen sozialen Verantwortung versprechen!

Meine Projekte der letzten Jahrzehnte fördern die Schaffung freier Territorien und sozialer Gefüge, wo Menschen aus verschiedenen gesellschaftlichen und kulturellen Teilsystemen zusammenfinden. Dafür steht das Konzept der Syntopie. Definitionsgemäß entsteht dort eine Syntopie, wo an einem Ort verschiedene Orte zusammentreffen. Eine Syntopie-Plastik setzt sich mit ihren Grundelementen mit den ursprünglichen Verbindungen zwischen Menschen und Kulturen auseinander.

Mein Blockhaus, das in Köln-Volkhoven im Rahmen des Projekts „Sapiens/Sapiens“ (2000) entstanden ist, ist ein gelungenes Beispiel für eine derartige syntopische Intervention in die Lebenszusammenhänge: Auf der Baustelle fanden Menschen aus allen Herren Ländern zusammen, bauten, kochten, speisten, tanzten. Gemeinsam schufen sie eine Syntopie-Plastik, d. h. eine Stätte des Zusammenwirkens; man könnte auch sagen eine „Bauhütte“, die für den Kathedralenbau der gesellschaftlichen Selbstvervollkommnung immer schon nötig ist. In Europa gibt es diese Tradition seit dem Mittelalter. Sie setzte sich bei der Gründung des Bauhauses in Weimar fort, dessen 100-Jähriges Bestehen wir kommenden Jahres feiern. Es geht um das Schaffen von Architekturen, in denen der Gesamtzusammenhang aufscheint – das Ganze des gesellschaftlichen Lebens, an dem letztlich nur wenige Menschen teilhaben können.

Mit dem Projekt „ob DACH“ / eine Baustelle in Bonn will ich zeigen, dass Kunst nicht losgelöst vom täglichen Leben stattfindet. Kunst steht mitten im Leben. Sie kann deshalb etwas bewirken und in der Gesellschaft und vielleicht auch auf politischer Ebene etwas bewegen. Kunst und Politik sind in Europa seit jeher eng miteinander verknüpft. Die Freiheit der Kunst ist ein wichtiger Indikator für den Zustand einer freiheitlichen und demokratisch verfassten Gesellschaft. Mit meiner Kunst möchte ich für eine Kultur der zivilgesellschaftlichen Verantwortung eintreten.

Durch das Projekt „ob DACH“ / eine Baustelle in Bonn soll deutlich werden, dass Obdachlose nicht am Rande der Gesellschaft stehen. Sie leben, was ihre Wahrnehmung betrifft, außerhalb unserer Gesellschaft und sind doch ein Teil dieser Formation. Obdachlose sind Heimatlose im wahrsten Sinne des Wortes. Heimat, Identität und individuelle Lebensqualität von Menschen wird im Wesentlichen durch „Wohnen“ bestimmt. Statistische Erhebungen über die genaue Anzahl von Obdachlosen liegen nicht vor. Dadurch, dass sie kein Dach über dem Kopf haben, sind Fluktuation und Sterberate sehr hoch. Die hohe Dunkelziffer verschleiert die empirische Anzahl, so dass sie häufig unterschätzt und auch marginalisiert wird.

Meine Initiative ist keineswegs als Provokation zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um einen konstruktiven Vorschlag, im Bonner Raum (und in Verbindung mit VFG) lebenswürdige Alternativen zum bisherigen zivilgesellschaftlichen Engagement aufzutun. Ein Projekt wie „ob DACH“ / eine Baustelle in Bonn darf durchaus als Protest gegenüber der Gleichgültigkeit gelten, die gegenüber Obdachlosen und deren sozialer Realität herrscht.

Das Werk zu verwirklichen würde bedeuten, einen Anruf in den Stadtraum zu starten, sich an einem neuen sozialen Gefüge zu beteiligen. Der Aufruf könnte sein: Beteiligt euch an der „Arche der Unschuld“, gemeinsam schaffen wir eine Kunst, die keine Ware ist, sondern die Zuversicht spendet. Wir bauen an dem notwendigen, ja lebenswichtigen Obdach und nicht an beliebigen kulturellen Trophäen für Privilegierte. Gerade die Menschen aus Wirtschaft und Politik sind naturgemäß ebenso aufgefordert, die Gesellschaft zu gestalten, – aber vom Grund auf und nicht von oben herab. Das neue Dach der Bürgergesellschaft, es kommt nicht vom Himmel herab. Es muss durch gemeinsame Taten überhaupt erst entstehen! Und zwar aus einer Auseinandersetzung mit der unmittelbaren urbanen Umgebung, den Bedingungen eines menschenwürdigen Lebens Rechnung tragend.

Das Projekt möchte den Versuch unternehmen, auch das Internet als visuellen Erfahrungs- und Informationsraum in diesen Schaffensprozess mit zu integrieren. Im Vordergrund stehen hier ästhetisch-gestalterische Aspekte sowie theoretische Grundlagenforschung. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der besseren Nutzung von Online-Medien für kreative Prozesse.

Fortsetzung des Projekts:

Erinnere Dich!



Ursprünglich wollte ich einen Bau für und mit Obdachlosen in Bonn initiieren. Es sollte im städtischen Raum eine Syntopie-Plastik entstehen. Die Syntopie-Plastik sollte ein Ort der Begegnung, des Kennenlernens und der aktiven Teilhabe werden. Durch das Projekt „ob DACH“ sollte deutlich werden, dass Obdachlose, was ihre Wahrnehmung betrifft, außerhalb unserer Gesellschaft leben. Obdachlose sind Heimatlose im wahrsten Sinne des Wortes. Heimat, Identität und individuelle Lebensqualität von Menschen wird im Wesentlichen durch „Wohnen“ bestimmt. Exakte statistische Erhebungen über die genaue Anzahl von Obdachlosen liegen nicht vor.

Aus dem Projekt „ob DACH“ ist zwischenzeitlich die Konzeption eines Mahnmals für die in der NS Zeit in Deutschland verfolgten, vertriebenen und ermordeten Sinti und Roma geworden. Dem liegen Recherchen zu Grunde, die ich 2019 / 2020 im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln im Fachbereich Archiv und Dokumentation durchgeführt habe. Diese Vorarbeiten kommen mir nun zugute, da nämlich die Stadt Bonn, unterstützt von Bernhard von Grünberg als dem stellvertretenden Vorsitzenden der UNO-Flüchtlingshilfe, ein entsprechendes Projekt für ein Mahnmal initiiert hat; der voraussichtliche Standort ist an einem schon näher bestimmten Platz in der Nähe des Bonner Hauptbahnhofs.

Bei der Entwicklung dieses Mahnmal-Projekts befinde ich mich gerade noch auf der Suche nach authentischen Informationen, Dokumenten, Namen und Bildern, also nach Archivmaterial aus den 1930er- und 1940er-Jahren. Dies ist im Moment ein entscheidender Aspekt für meine Arbeit. Ich bin bereits in Kontakt mit dem Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. Auch befasse ich mich mit einer umfassenden Publikation zum Thema, in der sich auch eine genaue Chronologie befindet: Zigeunerverfolgung im Rheinland und in Westfalen 1933 – 1945 Geschichte, Aufarbeitung und Erinnerung. Hrsg. Von Karola Fings und Ulrich Friedrich Opfermann, Paderborn, München, Wien, Zürich 2012.

Auch wenn sich nun die Projektlinie etwas verschoben hat, fließen Grundgedanken alten „ob DACH“-Konzept in das erneuerte Konzept ein. Die Projektentwicklung geschieht weiterhin in enger Zusammenarbeit mit dem VFG Bonn und zeigt damit, dass Kunst nicht losgelöst vom alltäglichen Leben stattfindet. Kunst steht mitten im Leben. Sie kann in der Gesellschaft etwas bewirken und vielleicht auch auf politischer Ebene etwas bewegen. Das Leben der Roma und Sinti in Europa und auch in Deutschland gehört zu unserer Geschichte und Roma und Sinti gehören zu unserer Gesellschaft. Ich möchte mit dem Mahnmal auch daran erinnern, wie eng Kunst und Politik in Europa seit jeher eng miteinander verknüpft sind. Die Freiheit der Kunst ist ein wichtiger Indikator für den Zustand einer freiheitlichen und demokratisch verfassten Gesellschaft. Mit meiner Kunst möchte ich für eine Kultur der zivilgesellschaftlichen Verantwortung eintreten. Um so mehr freut es mich, dass ich gute und kompetente ProjektpartnerInnen gefunden habe. Mit ihnen habe ich auf der Basis von konkreten Konzeptskizzen und zahlreichen Modellentwürfen dem Projekt Struktur verleihen können.
Während der Arbeiten hat sich herausgestellt, dass eine Gedenktafel existiert, die an Geschichte der Sinti und Roma erinnert. Diese Tafel lagert schon seit einigen Jahren im Bonner Kulturamt. Sie wird wohl in mein Werk integriert werden. Eine günstige Entwicklung, zumal das Kulturamt in Bonn ein eigenes Projekt für die Erarbeitung eines Gesamtkonzeptes namens „Aktive Erinnerungskultur“ durchzuführen beabsichtigt. Auf dieser Ebene ist eine Zusammenführung der Projektlinien denkbar.

Die Anfänge des Projekts liegen im Jahr 2019; voraussichtlicher Abschluss im Jahr 2022.

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